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Der verschwundene Tag

Er war schon da, der weisse Schnee. Überzuckerte die ganze Stadt und verwandelte die tristen grauen Pflaster in kristallen scheinende Oberfläche - aber naturlich nur dort, wo nicht die Reifen der Autos der Einlaufsbummler diese weisse Gleichförmigkeit zerrissen und sie in schmutziggraue Matschstraße verwandelte. Ja, es roch förmlich nach Weihnachten - überall sah man auf den Scheiben der Auslagen Sprühsterne. Sattgelb leuchtende Glühbirnen hatte man zu Glocken, Tannenbäumen und anderen weihnachtlichen Gebilden zusammengesteckt, und sie tauchten die von Geschäft zu Geschäft strömenden Massen in weihnachtliches Licht. An jedem freien Platz wurden Weihnachtsbäume angeboten - es war ein eifriges Kaufen und Verkaufen. Auch ich hatte schon Geschenke besorgt - und bald leerte sich meine Geldbörse. Eine Silbertanne stand schon in meinem Keller. Den Karpfen hatte ich ins Eis gelegt, und die Kekse lagen verführerisch duften auf dem Backblech. Alles war bereit für den Tag, den alle ungeduldig erwarteten. Es war der 23., als ich den letzten schokoladenen, mit buntem Alupapier überzogenen Weihnachtsmann kaufte. Mit Paketen schwer beladen kam ich abends nach Hause. Todmüde legte ich mich schlafen, nachdem ich meinen Wecker gestellt hatte.

Ich erwachte wie an jedem Morgen, nur mein Herz war mit Vorfreude erfüllt. Verschlafen tapste ich in die Küche und bereitete mein Frühstück. Wie gewohnt riß ich dann das Kalenderblatt des Vortages ab - und da wurde ich plötzlich hellwach. Denn nach dem Kalender war heute der 25. Ich vergewisserte mich, ob ich nicht zwei Blätter zugleich abgerissen hatte - aber das Kalenderblatt 24 war nicht zu finden. Vielleicht war dem Kalendehersteller ein Fehler unterlaufen? Plötzlich läutete das Telefon, es war mein Freund Harry -, mit ziemlich erschütterternd klingender Stimme fragte er mich nach dem Datum des heutigen Tages. Ich sagte, dass ich vermute, es sei der 24. Nun erzählter er mir, dass sein Kalender das Blatt des 24. nicht aufweise. Da läutete es an der Türe, ich öffnete - meine Nachbarin trat ein, ihren Kalender in der Hand. Sie sah sehr verwirrt aus, als auch sie erzählte, dass ihr Kalender zwischen dem 23. und dem 25. kein Kalenderblatt aufweise. Ich teilte Harry mit, dass nicht nur er in dieser Lage sei, und beruhigte ihn - dann legte ich auf. Da es gerade Zeit für die Nachrichten war, drehte ich den Radioapparat auf. Der Sprecher begann mit dem Datum, es war der 25. Langsam schien alles komfus zu sein, ich schickte die hysterisch weinende Nachbarin in ihre Wohnung zurüch. dann begann ich mit den Recherchen, wo der 24. geblieben war. Zuerst rief ich im Rundfunk an und erkundigte mich dort nach dem Datum; der Kundendienst bekannte, dass man nicht sicher sei, ob heute der 24. oder 25. sei. Danach erkundigte ich mich bei der Polizei, auch dort wusste man keine Erklärung für den verschwundenen Tag. Daraufhin rief ich in meinem Büro an - wieder dieselbe Verwirrung - also war klar, der Tag war verschwunden und blieb es auch.

Da standen nun alle da - mit den vielen Geschenken, versteckt hinter Handtuchstössen, unter Betten oder sonstwo, den noch warmen Kuchen, Keksen, und quietschvergnügten Karpfen in den Badewanne, den abertausenden Bäumen in Kellern, die begonnen hatte, ihre Nadeln abzuwerfen. Ich war auch verblüfft und kam mir betrogen vor - ich warf alle Geschenke in den Wagen und fuhr zum Altersheim, wo ich sie abgab. Man lud mich ein zu bleiben, ich saß mitten unter den Alten im Schein einiger Kerzen. aß in aller Ruhe mit ihnen Weihnachtskekse, lauschte mit ihnen den Worten des Erzählers, der aus einem Buch las, in dem die alte Geschichte stand, dass ein junges Paar nach Bethlehem gezogen war ... ( ©Brigitta Bernart-Skarek - 1980 erstveröffentlicht in "Junge Literatur aus Österreich" Österr. Bundesverlag; und in der Zeitschrift "Brigitte" 1980)